In den USA gibt es viele gute Universitäten. Neben den berühmten Ivy League Universitäten gibt es zahlreiche öffentliche und private Universitäten mit Weltruf. Allerdings gibt es immer mehr Menschen, die sich an diesen Institutionen bewerben, und so wird es immer schwieriger, einen der begehrten Studienplätze zu ergattern. Anfang der 90er Jahre nahm Harvard noch fast jeden sechsten Bewerber auf, heute schafft es noch nicht mal jeder zehnte. Das gleiche Phänomen ist an so ziemlich allen „besseren“ Universitäten zu beobachten.

Dies wirft einige Fragen auf, z.B. wer es denn letztendlich schafft, einen der begehrten Plätze zu erhaschen. Wieviel Chancengleichheit gibt es? Und was sollte man einen Politiker beim nächsten mal fragen, wenn er oder sie fordert, Deutschland brauche auch ein Harvard?

Fragt man bei den Universitäten, so ist die Sache eindeutig: die Auswahl werde meritokratisch vorgenommen, d.h. es werde schlicht nach Leistung ausgewählt. Kein Student werde aus finanziellen Gründen abgelehnt, und jeder, der den akademischen Ansprüchen genüge, bekäme ein Studienplatzangebot, gegebenenfalls mit großzügiger finanzieller Förderung. Klingt alles wunderbar, wenn es nur der Wahrheit entspräche. Leider ist die Geschichte der Aufnahmeverfahren an den Top-Unis eine Geschichte von Antisemitismus, Rassismus, sozialer Auslese und Diskrimierung. Und diese Geschichte zieht sich bis in die heutige Zeit.

Zugegeben, es hat sich in den letzten Jahrzehnten viel getan. Als letzte positive Entwicklungen erklärte Princeton (die Uni mit dem größten Stiftungsvermögen pro Student) im Jahr 2000, dass man alle Darlehen, die als finanzielle Hilfe für Studenten angeboten wurde, in volle Stipendien verwandeln würden, die nicht mehr zurückgezahlt werden müssen. Auch andere Unis haben den Anteil an Darlehen an finanzieller Unterstützung drastisch verringert und Stipendienangebote aufgestockt. Vor ein paar Wochen gaben Harvard und Princeton dann auch noch bekannt, ihre „Early Admission Programme“ einstellen zu wollen.

Early Admission steht für spezielle Bewerbungsverfahren, bei der ein Bewerber sich für eine Universität früher bewerben darf, und diese Bewerbung dann auch zügig behandelt wird. Als Haken galt dafür meist, dass der Bewerber, sollte er von dieser Universität ein Studienplatzangebot bekommen, verpflichtet war, den Studienplatz anzunehmen. Dadurch kaufte man sprichwörtlich die Katze im Sack: war das Angebot an finanzieller Förderung nicht so gut, konnte der Bewerber nun nicht mehr auf andere Angebote warten und sich gegebenenfalls für eine andere Universität entscheiden.

Mit der Begründung, dass solch ein Verfahren Bewerber aus sozial schwächeren Familien benachteilige, haben Harvard und Princeton dieses Verfahren nun eingestellt. Und sie haben damit natürlich recht. In Cornell entbrannte sofort eine heftige Debatte darüber, Early Admission auch einstellen zu wollen. Allerdings ist dies nicht zuletzt eine Kostenfrage. Als ich vor kurzem einen ehemals hohen Administrator aus dem Dekanat hierauf ansprach, sagte dieser mir unverblümt: „Mit Early Admission locken wir Studenten aus reichen Familien an, und erst dadurch wissen wir, wieviele Stipendien wir im normalen Bewerbungsverfahren vergeben können.“ Studenten aus reichen Familien zahlen nämlich volle Studiengebühren und bekommen keine finanzielle Unterstützung von der Universität. Durch Early Admission kann man also im Vorfeld garantieren, dass sich eine bestimmte Anzahl an Vollzahlern an der Universität immatrikulieren wird.

In sofern ist es schön, wenn wenigstens die reichsten Universitäten eine solche Praxis einstellen. Harvard und Princeton haben beide ein Stiftungsvermögen von weit mehr als $ 1 Millionen pro Student, Cornell gerade mal knapp über $ 200.000. Aber heißt dies, dass an den reichsten und vermeintlich besten Universitäten alles fair zugeht? Definitiv nicht.

Ein äußerst interessanter Artikel aus dem New Yorker, auf den ich voriges Jahr mal gestoßen bin, erläutert die Geschichte der Aufnahmeverfahren an den drei renomiertesten Unis, Harvard, Yale und Princeton. Dort heißt es, dass Harvard erstmals 1905 Aufnahmeexamen einführte, an denen prinzipiell jeder Teilnehmen konnte (vorausgestzt, er konnte sich das Studium leisten). Allerdings führte dieses meritokratische Verfahren dazu, dass der Anteil an Juden in Harvard von 7% im Jahr 1908 auf über 20% im Jahr 1922 anstieg, was man in der elitären Universitätsführung gar nicht gerne sah.

The enrollment of Jews began to rise dramatically.By 1922, they made up more than a fifth of Harvard’s freshman class. The administration and alumni were up in arms. Jews were thought to be sickly and grasping, grade-grubbing and insular. They displaced the sons of wealthy Wasp alumni, which did not bode well for fund-raising. A. Lawrence Lowell, Harvard’s president in the nineteen-twenties, stated flatly that too many Jews would destroy the school: “The summer hotel that is ruined by admitting Jews meets its fate . . . because they drive away the Gentiles, and then after the Gentiles have left, they leave also.”

Um dem gewachsenen Anteil an jüdischen Studenten zurückzufahren, wurden neue Aufnahmekriterien eingeführt, allen voran Bewertungen des Charakters aufgrund von persönlichen Interviews, Referenzschreiben und Bewerbungsessays. Diese Praktiken gibt es auch noch heute; sie entstanden aber ursprünglich, um jüdische Bewerber besser ausschließen zu können. Zudem wurden Photos für die Bewerbung verlangt, genauso wie genaue Angaben über den Mädchennamen der Mutter, Religion, Namensänderungen des Bewerbers und Geburtsort des Vaters.

Mit dieser Praxis wurde der Anteil an jüdischen Studenten in Harvard bis 1933 auf unter 15% gesenkt. Ähnliche antisemitische Praktiken gab es auch in Yale und Princeton. Das moderne Bewerbungsverfahren war geboren.

Nachdem das „jüdische Problem“ weitgehend ausgeräumt war (es ging nie darum, alle Juden aus den Universitäten zu entfernen), wurden Charaktereigenschaften als Bewerbungskriterium immer mehr betont. Ab Anfang der 60er Jahre ging es immer mehr um die Frage, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Student nach dem Studium Erfolg innerhalb der Gesellschaft hat, anstatt ob ein Student während des Studiums akademisch erfolgreich ist. Die Universitäten wollten sich mit späteren Wirtschaftsführern, Spitzenpolitikern und Stars schmücken, und nicht zuletzt weil diese Rechnung aufgegangen ist, sind diese Universitäten heute wohlhabend und erfolgreich.

The Ivy League schools justified their emphasis on character and personality, however, by arguing that they were searching for the students who would have the greatest success after college. They were looking for leaders, and leadership, the officials of the Ivy League believed, was not a simple matter of academic brilliance. “Should our goal be to select a student body with the highest possible proportions of high-ranking students, or should it be to select, within a reasonably high range of academic ability, a student body with a certain variety of talents, qualities, attitudes, and backgrounds?” Wilbur Bender asked. To him, the answer was obvious. If you let in only the brilliant, then you produced bookworms and bench scientists: you ended up as socially irrelevant as the University of Chicago (an institution Harvard officials looked upon and shuddered).

Wie man im Voraus feststellen kann, ob ein Bewerber später gesellschaftlichen Erfolg haben wird, ist natürlich nicht ganz einfach. Es ist aber nicht besonders schwer zu sehen, dass eine solche Auswahl zu einem großen Teil auf der Basis sozialer Herkunft vorgenommen wird. Ein Unternehmersohn steigt nunmal mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Wirtschaftsführer auf, als ein Kind aus dem Armenvirtel, und sei es noch so begabt. Aber natürlich weiß niemand genau, was Harvard in den 60er Jahren unter der Kategorie „persönliche Qualitäten“ verstand, wenngleich sie sich als wichtigstes Aufnahmekriterium erweisen sollte.

That mysterious index of “personal” qualities. According to Harvard’s own analysis, the personal rating was a better predictor of admission than the academic rating. Those with a rank of 4 or worse on the personal scale had, in the nineteen-sixties, a rejection rate of ninety-eight per cent. Those with a personal rating of 1 had a rejection rate of 2.5 per cent.

Zum selben Zeitpunkt wurde auch die priviligierte Behandlung von Athleten eingeführt. Noch heute ist es so, dass ein Athlet mit doppelter Wahrscheinlichkeit in Harvard angenommen wird, wenngleich Athleten im Durchschnitt signifikant schlechtere Ergebnisse bei ihren Bewerbungstests erzielen.

All diese Entwicklungen zeigen natürlich auf, dass es beim Bewerbungsprozess in den „Eliteunis“ im Laufe der Zeit immer weniger um intellektuelle Fähigkeiten ging. Ein System war geboren, und dies fand seine Krönung in den sogenannten „Legacy Admissions“, d.h. in der präferentiellen Aufnahme von Nachkommen ehemaliger Studenten (Alumni). Der Economist schrieb hierüber vor kurzem einige interessante Dinge (leider nur mit Abo erreichbar), nämlich z.B. das Nachkommen Ehemaliger eine Aufnahmequote von 40% in Harvard erzielen (zur Erinnerung: die gesamte Aufnahmequote liegt bei unter 10%). Es gebe sogar eine sogenannte „Z-List“, eine Liste mit Bewerbern, denen ein Jahr gegeben wird, um akademische Lücken zu schließen. Laut Economist ist die Liste gefüllt mit „Kindern reicher Ehemaliger“.

Inzwischen werden sogar Sportarten wie Lacrosse, Reiten, Segeln und Squash als athletische Aufnahmekriterien im berwebungsverfahren berücksichtigt. Kinder von bekannten Personen werden umworben (Geroge Bushs Tochter wurde in Princeton angenommen, obwohl sie ihre Bewerbung einen Monat zu spät eingeschickt hat) und sozialer Aufstieg wird von den Top-universitäten systematisch erschwert. In Harvard kamen 2004 nur 7% aller Studenten aus den 25% der Familien mit den niedrigsten Einkommen. Da hilft es dann auch nichts, wenn Studenten aus Familien mit einem Jahreseinkommen von weniger als $ 40.000 gar keine Studiengebühren mehr bezahlen müssen. Solche Studenten sind nämlich drastisch unterrepräsentiert; es gibt sie kaum.

Die Logik ist klar: reiche und erfolgreiche Ehemalige, deren Kinder mit großer Wahrscheinlichkeit auch in den Genuss eines Studiums an einer Universität mit gehobener Reputation kommen, sind oftmals gerne bereit, größere Summen an ihre Almae Matres zu spenden. Das funktioniert in etwa so wie eine Versicherungspolice für den Lebenserfolg des eigenen Kindes. Mit Chancengleichheit und Aufstiegschancen hat dies wenig zu tun, und in diesem Licht sollten auch alle kosmetischen Veränderungen am Aufnahmeverfahren erscheinen. Hätte Harvard nicht ein Stiftungsvermögen von $ 30 Mrd, hätte es sich noch nicht einmal diese öffentlichkeitswirksamen Veränderungen leisten können. Andrerseits, hätte Harvard nicht ein solch korruptes Aufnahmeverfahren, betrüge das Stiftungsvermögen womöglich auch nicht fast $ 30 Mrd. Der Economist schlussfolgert in diesem Sinne:

Only last week Harvard announced that it was getting rid of “early admission”—a system that favours privileged children—and Princeton rapidly followed suit. But the wind is going to have to blow a heck of a lot harder, and for a heck of a lot longer, before America’s money-addicted and legacy-loving universities can be shamed into returning to what ought to have been their guiding principle all along: admitting people to university on the basis of their intellectual ability.

Auch die Auslese auf der Basis von „Rassenzugehörigkeit“ ist wieder hoffähig. Der Economist bezeichnet Asian-Amerikans als „die neuen Juden“, da es inzwischen Anzeichen dafür gibt, dass systematisch gegen Bewerber asiatischer Herkunft diskriminiert wird. Princeton hat deswegen sogar bald ein Gerichtsverfahren am Hals.

Bleibt zu sagen, wer glaubt, man käme allein durch Leistung nach Harvard, Yale oder Princeton, benötigt einen dringenden Realitätscheck . Das Aufnahmeverfahren ist so ungerecht wie eh und je, und die geringfügigen Verbesserungen sind nicht mehr als ein bisschen PR. Wer arm ist, die falschen Vorfahren hat, der falschen Ethnie angehört, oder aus sonstigen Gründen nicht zur Elite passt, hat in Harvard nichts verloren. In den Worten von Malcolm Gladwell vom New Yorker:

If Harvard had too many Asians, it wouldn’t be Harvard, just as Harvard wouldn’t be Harvard with too many Jews or pansies or parlor pinks or shy types or short people with big ears.

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